Dienstag, 14. Oktober 2014

Heinrich Blücher an Hannah Arendt: "dieses große Ereignis Deiner Kontinuität"






 14.10.1906, UTC 20:15, Linden
 Hannah Arendt





Karl Jaspers:
"Wo nicht nur Standhalten und Vertrauen, sondern der Schwung
schaffenden Tuns so sichtbar sind, wie in Hannah,
da wird man selber mutiger.
Solche Wirklichkeit ist doch die eigentliche Wirklichkeit heute.(S. 187)






Sie ist heute108 Jahre geworden, die große Liebende und politische Theoretikerin.
Ihr Mann, Heinrich Blücher, nachmaliger Philosoph in New York, den sie kennenlernte in der Emigration in Paris, war Geliebter und philosophischer Partner und gemeinsam mit ihr teilte er die tiefe Freundschaft mit dem alternden großen Philosophen und Doktorvater Hannah's Karl Jaspers.
Der Briefwechsel zwischen den beiden Liebenden ist umfangreich, denn Hannah hatte vielen Einladungen und Engagements zu folgen was sie manche Monate ihres Lebens von Heinrich trennte.

Um Hannah am heutigen Tag zu zu würdigen, erschien es mir passend ein paar Auszüge aus Briefen von Heinrich an Hannah zu zitieren, welche einen Eindruck vermitteln, wie gedankenreich und lebensfrisch  das lebenslange Gespräch zwischen den Eheleuten abgelaufen sein mag.

Meine Aufzeichnungen beginnen am 10.10. in ihrem 2. Jahrzehnt in NY - welchen Jahres muß offen bleiben, ich habe das Buch verliehen und kann daher nicht nachschauen.
 
Heinrich Blücher an Hannah Arendt


" ... wußte ich mit Nietzsche: ein anderes ist Einsamkeit und ein anderes ist Verlassenheit (> Zarathustra, 3. Teil, Die Heimkehr)
Einsamkeit, die wir uns gegenseitig garantieren, in der wir uns gemeinsam der Welt gegenüber befinden mögen - beide Arten sind auf der stillschweigenden Grundlage der Zweisamkeit errichtet. Ein ganz ähnliches Wunder wie das Hervorgehen der Eigenständigkeit (im Unterschiede von der hohlen Selbständigkeit) aus dem Zusammenstehen." (S. 177)

" ... so werde ich ihn einiges über die unbeholfene Schönheit jedes wirklichen Stils erzählen und über die Hübschheit, die die Eunuchen den Sätzen zu geben wissen, um ihnen den Sinn zu nehmen." (S. 182)

"... dieses große Ereignis Deiner Kontinuität ..." (S.183)


Heinrich: zu Jaspers "Logik":  "sein zusammenfassendes Werk" ... "

" ... fertig gebracht hat, den verborgenen Unterstrom der Aufklärung, das in Kant und Lessing hervorbrechende eigentliche und von allem Zauberwesen des Pantheismus wie der christlichen Nachgeburten gereinigte Elemenet der eigentlichen Freiheit, rein zu bewahren, und den Unterstrom ans Tageslicht heraufzuleiten. So wird die Aufklärung zur Erhellung, zum Selbstverständigungsprozeß des zum Menschen werdenden Menschen gemacht, die Funktionalität des vernünftigen Selbstbewusstseins in Bewegung gesetzt, eine lebendige Orientierung im Sein ermöglicht statt eines Wissens über das Sein, in treuer Verwaltung des Willens von Kant, dem Glauben wirklich Platz geschaffen, nämlich ihm der unendliche Weg durch die Schöpfung hindurch zum Schöpfer gewiesen, wo der Mensch, kraft der Existenz und vermöge der fest im Platonischen Erossinne wieder erfassten Vernunft, transzendierend durch die Weisen des "Umgreifenden" durchgreifend, sich gewissermaßen durch das Sein schwingt."(S. 198).

Heinrich (über Jaspers "Logik") "... die eigentlich metaphysische und damit größte und zentrale Leistung der Resistance."

"Ich habe immer nur den Grundwillen von Philosophen verstehen wollen, ihr eigentlichstes inneres Anliegen, denn ich wollte nicht irgendein Erbe antreten, was jeder sollte und können sollte, sondern diesen Willen und ihre Verpflichtung auf mich nehmen [...] es ist mir ein innig tröstender Gedanke, dass gerade dieses Werk im Deutschland der Hitlerzeit herausgearbeitet worden ist [...] die edelste und beste Kraft der abendländischen Philosophie wird hier der Gefahr entgegengestellt und dabei gesichert, was ihr bleibende, ihr ewiger Wert war. Ich hatte diese Verpflichtung immer als eine notwendige Vorarbeit für meine Philosophie  gefühlt. Nun bin ich dessen ledig und kann beglückt einfach verweisen. Zum eigentlich Radikalen zu springen ohne vorher das Extremistische beiseitegesetzt zu haben, schien mir immer unmöglich und unwürdig. Jaspers hat es auf seinen Platz verwiesen. Und diesem Individuum mitsamt seinem Kollektiv, das wir als Produkt der abendländischen Geschichte haben und das uns die Person zersetzt, die Menschheit unmöglich macht und den Menschen zu vernichten droht, wird hier der Vorwand entzogen, sich als die Konsequenz des Grundwillens seiner wahrhaft großen Denker auszugeben, ihm wird mit deren Hilfe ein Handbuch zur Selbstverständigung des Menschen gegeben und so jedem Individuum die Möglichkeit geschaffen, sich in der Gottesnähe festzuhalten und die Konsequenzen des abendländischen Wollens zu vermeiden, Widerstand zu leisten, nicht mitzumachen, den Blickpunkt der Wahrheit nicht zu verlieren [...]
verfahren, wie es die Aufgabe des Philosophen ist, das Wunder des Seins nicht zu erklären, sondern es weiter zu entfalten, damit es uns tieferreichenden Sinn und höhergreifenden Willen ermöglicht. -
Ja die Zeit [...] wir brauchen sie nicht zu sein, wir können sie haben, wenn wir von unserer Dauer her sie fassen und in die Ewigkeit zwingen, in jene Ewigkeit, in der wir leben können für unsere begrenzte Dauer, um sie, wenn möglich, weiterzugeben an andere Träger, die sie weitertragen, in jene Unendlichkeit hinein und stets über sie hinaus, die selber nie Ewigkeit werden kann [...]
Denn die Gaben geben die Götter, und unser ist kein Verdienst. Aber vielleicht gibt Gott, der die Götter gemacht und beauftragt hat wie auch uns, uns auch persönlich etwas mit. Die eigentliche Freiheit nämlich, dass wir entscheiden können, wieweit wir verstehen wollen, wieweit wir unsere Gaben anwenden wollen. Auf die Götter gibt uns das Sein viele Blicke frei, und ich werde sie alle zeigen, auf Gott nur einen, diesen. Dass wir fähig sind, im anderen Menschen uns und in uns den anderen zu vermuten, zu suchen und zu erkennen, und dass wir dazu gewillt sind, hier liegt der Ursprung der Freiheit. Und wenn wir sie gewinnen, so können wir hier meinen Begriff der Menschenehre fundieren, der  uns weiterbringen soll als der der Menschenwürde. Jaspers ist auch hier nahe mit diesem großen "dass ich mir in meiner Freiheit geschenkt bin". Hier ist der Blick auf Gott frei. Von hier aus kann ich der bisher einzig ehrenhaften Nietzschschen Position:"Ich weiß nichtob Gott ist oder nicht, aber ich will, dass er nicht sei, er darf nicht sein, der Freiheit des Menschen wegen", meine Position entgegensetzen: "Ich weiß nicht, ob Du bist oder nicht, aber ich will, dass Du seist, der Freiheit des Menschen wegen, die der Danksagung bedarf aber auch der Hilfe." Der Hilfe nicht, weil sie zu klein, sondern weil sie zu groß ist. Unendlich sind die Möglichkeiten des verstehenden Herzens, und nie tun wir genug, und darum wäre ein Gebet wirklich erlaubt, ohne eine weitere unverschämte Forderung an Gott zu enthalten: Herr, gib mir ein verstehendes und weises Herz. Wir brauchen kein Sündengefühl, um angesichts der ewigen Möglichkeiten dieser unserer Freiheit unsere Unzulängleichkeit zu fühlen, den Wundern gerecht zu werden. Und Bitten wäre hier erlaubt. Und ob er uns dann segnet oder nicht, ob es hier und hier allein direkten Eingriff von ihm gibt oder nicht, allein die Bitte oder ihre gefühlte Norwendigkeit oder Statthaftigkeit wären imstande, uns im Bewusstsein unserer Schwäche festzuhalten und unsere Kraft immer wieder zu entfalten. Doch hier ist mögliches Verdienst, das einzige, was wir uns zurechenen könnten. und diese von Gott selbst gegebene Gabe ist jedem gegeben, ob sonst die Götter ihm Gaben reichten oder nicht. Hier ist das Zentrum menschlicher Schöpferkraft, und wer es ergreift, mag selbst noch die Gaben der Götter dazugewinnen. Unbeirrbar festhaltend daran, hat jedenfalls zu Beispiel der ursprünglich nicht so mit metaphysischen Gaben der Götter bedachte Jaspers schließlich dieses Werk hiergeschrieben, und nicht der begabtere Heidegger, der nun gerade an diesem Einen beständig vorbeiging." (S 210 f.f.)

Heinrich: [...] ich habe wohl, und das unterscheidet mich von Jaspers, die Heimatlosigkeit als erster voll erfahren und akzeptiert und konnte immer sagen Wo ich bin, da bin ich nicht zu Hause". Dafür habe ich aber auch mir in dieser Welt hier, und nicht in einer überirdischen Zionsheimat, mitten hier in ihr, ein ewiges Zuhause gegründet durch Dich und Freunde, so dass ich auch sagen kann: wo einer oder einige von Euch mit mir versammelt sind, da ist meine Heimat und wo Du mit mir bist, da ist mein Haus." (S. 213)

 29 Januar1899 – 30 Oktober 1970
Heinrich Blücher

Geschrieben und gepostet: UTC 18:17.

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